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Sanfte Methoden mit Farbe und Ton

Unterschiedliche Angebote im „Haus Lebenswert“ ergänzen die medizinische Behandlung krebskranker Patienten – Reportage (Kölnische Rundschau)

Von Lydia Keck

Einen Pinsel will sie diesmal nicht benutzen. Mit den Fingern taucht Ute K. tief in die Farben auf ihrer Palette ein. Danach streicht sie mit sicherer Hand über das Papier. Ihr klares Rot und das Grün daneben will sie heute nicht mischen. Die Farben sollen fröhlich sein, genauso wie sie sich gerade fühlt. Ute strahlt und zeigt Richard Berners ihr Ergebnis: „Heute geht es mir gut. Es ist eine Sommerwiese“, kommentiert sie die roten und grünen Linien, die sich dicht an dicht über das Blatt ziehen. Im Atelier ist es ruhig. Überall stehen kleine Farbtöpfchen und Tuben. Fünf Teilnehmer sitzen konzentriert vor ihren Arbeiten. Ins Haus LebensWert, das sich in unmittelbarer Nähe des Hauptgebäudes der Uniklinik in Köln befindet, kommt die kleine Gruppe aber nicht nur, um Maltechniken zu lernen. Jeder bringt etwas von draußen mit, was er loswerden will. Gefühle, die draußen niemand verstehen kann. Quälende Gedanken über die bevorstehende Untersuchung und die täglichen Beschwerden. Diese sollen in Farben und Formen verarbeitet werden, ist der Ansatz von Kunsttherapeut Richard Berners. Er bietet in seinem Atelier Einzelsitzungen wie auch Gruppenarbeit an, für stationäre und auch ambulante Patienten.

Berners

Ute hat seit acht Jahren Brustkrebs. Sie nimmt regelmäßig an der offenen Gruppe teil, wo auch Menschen mitmachen können, die an Krebs erkrankt sind, aber nicht unmittelbar in der Uniklinik behandelt werden. Zusätzlich ist sie noch in der geschlossenen Therapie. Und Richard Berners ist seit zwei Jahren immer dabei, wenn sich die an Krebs Erkrankten in dem gelben Gebäude an der Joseph-Stelzmann-Straße treffen, stellt ihnen Aufgaben oder überlässt ihnen auch manchmal selbst das Feld. Berners will Patienten zur Seite stehen, wenn sie sich allein fühlen. Denn vieles ändert sich einfach in ihrem Leben, wenn die Diagnose Krebs festgestellt wird. „Manche sind wütend, fühlen sich unverstanden von ihrer Familie oder Freunden, die mitleidig sagen, ach, du wirst doch bald wieder gesund. Dann ziehen sie sich zurück und genau das ist falsch“, sagt Berners. Ute tut das regelmäßige Treffen gut. Das Spiel mit den Farben ist ein Ventil für sie, etwas bewusst nach außen zu tragen oder einfach hinausfließen zu lassen. Auch wenn sie manchmal nicht weiß, warum sie sich so gut fühlt, wenn sie spontan ihre Formen auf die Leinwand bringt. Anschließende Gespräche helfen dann, etwas Neues an sich zu entdecken aber auch Unbewusstes aufzubrechen. Das kann manchmal weh tun. „Es fließt immer etwas in das Bild ein, was mit Unverarbeitetem zu tun hat. Da sprechen wir dann drüber“, sagt der Therapeut. Ute schätzt die anschließende Auseinandersetzung: „Wenn ich mit Problemen hierher komme, gehe ich gut gestimmt wieder hier raus.“

Während sie nach einem neuen Bogen Papier greift, sitzen sich Hedwig F. und Anna S. auf einem Stuhl gegenüber. Zwischen ihnen steht auf einem Drehtisch eine Masse Ton. Mit dem Gongschlag sollen sie beginnen, die ihnen zugewandte Seite mit ihren Händen zu bearbeiten. Hedwig drückt ihren Zeige- und Mittelfinger tief in das Material. Sie versucht, aus der harten Masse mit Kraft eine Nase herauszuformen. Sie spürt einen starken Widerstand, kämpft mit dem Ton. Schließlich entsteht ein Gesicht. Anna dagegen zieht mit ihren Händen lange Bahnen in das Rohmaterial. Nach kurzer Zeit ertönt wieder der Gong. Die Figur wird gedreht und beide müssen die Form ihres Partners weiter bearbeiten. Wieder beginnen die beiden Frauen, sich an ihrer Skulptur zu versuchen. Sie probieren, sich mit ihren Fingerspitzen in die Form ihres Gegenübers hineinzugraben. Eine Herausforderung. Was während dessen mit ihrem eigenen Produkt auf der anderen Seite passiert, sehen sie nämlich nicht. „Sie müssen lernen, loslassen zu können. Vertrauen zu entwickeln, dass jemand anderes die Verantwortung für ihren Körper in die Hand nimmt. Wie hier bei dieser Übung andere die von ihnen geschaffene Figur verändern“, erklärt Berners die Übung. Dass sie sich dabei auch durchsetzen lernen, ist ein nächster Schritt: „Oft fühlen sich Patienten von ihren Ärzten überfallen. Sie wagen nicht, Fragen zu stellen, wenn sie nicht begreifen, was mit ihnen passiert.“ Schließlich rollt Anna eine lange Wurst aus dem Ton und befestigt sie in der Mundöffnung. Der Gong ertönt wieder. „Wem gilt die freche Zunge?“ fragt Berners neugierig. „Trotz der Erkrankung bin ich dabei“, erwidert die junge Mutter. „Wie haben Sie sich gefühlt?“ „Es ist doch eine Bereicherung, wenn man etwas abgibt?“, kommt unsicher von Anna die Frage zurück. „Es trifft immer die Menschen, die mitten im Leben stehen“, stellt Hedwig fest. Hedwig stand mitten im Leben. Sie war eine bekannte Redakteurin. War immer unterwegs, liebte ihren Beruf. Bis sie die Krankheit dem Alltag entriss. „Es ist eine Erkrankung, die uns alle angeht, eine Massenerkrankung. Es kann jeden treffen“, antwortet ihr Berners.

Nicht immer können an Krebs Erkrankte so kraftvoll und gelassen mit dem Material umgehen, erklärt Richard Berners. Oftmals leiden sie an Fatigue, einer chronischen Müdigkeitserkrankung, leiden unter starken Schmerzen. Sie haben Schwierigkeiten zuzupacken. Für die Bearbeitung von Ton ist aber viel Kraft nötig, die ihnen fehlt: „Verschiedene Studien haben gezeigt, dass zwischen 60 und 90 Prozent der Patienten während Chemo- oder Radiotherapien durch Fatigue betroffen sind“, sagt Berners. Dieser Zustand werde von ihnen wie ein Gefühl der leichten Ermüdbarkeit unter leichtester körperlicher oder geistiger Anstrengung, Abgeschlagenheit und Mangel an Energie beschrieben. Häufig in Verbindung mit körperlichen Symptomen wie Muskelschmerzen, Kopfschmerzen oder Gelenkbeschwerden. Da greift Silvia Knerr mit ihrer Feldenkrais-Therapie und Martin Kasper mit Tai Chi und Qi Gong ein. Eine weitere Ergänzung der medizinischen Krebstherapie neben dem Musikangebot, einer Schreibwerkstatt, Patientenseminaren und Selbsthilfegruppen im Haus LebensWert. Das Tai Chi Chuan ist ein chinesisches Bewegungssystem, das in der VR China, Taiwan und inzwischen auch weltweit vor allem zum Zwecke der Prävention in Bezug auf Herzkreislauf-Erkrankungen, Rückenerkrankungen, Gelenkproblemen und muskuläre Dysbalancen eingesetzt wird. Die Übungen regen den Energiefluss im Körper an, der für körperliches und seelisches Wohlbefinden sorgt. Dass die Angebote im Haus keine Behandlungsmethoden gegen den Krebs sind, die für sich allein stehen, ist Richard Berners schon bewusst: „Wir sind lediglich eine Ergänzung zur medizinischen Behandlung. Eine Betreuung, die dem Patienten hilft, mit der Krankheit und der eigenen Umwelt umzugehen.“

 


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