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„Dass eine wirklich neue Idee auftaucht, ist relativ selten“ - Interview
Moderator und TV-Produzent Hans Meiser über den Fernsehalltag; März 2006; TextArt-Magazin

Lydia Keck und Oliver Buslau (Fotos)

Meiser

Viele reizt das Schreiben fürs Fernsehen, der Journalismus. Lydia Keck und Oliver Buslau besuchten Hans Meiser (59) – ein wahres Urgestein des Fernsehjournalismus. 1971 begann er als Nachrichtenredakteur bei Radio Luxemburg, 1984 war er „Mann der ersten Stunde bei RTL Plus in Luxemburg, 1992 wurde er Moderator der Sendung „Notruf“ und gründete seine eigene Produktionsfirma creatv GmbH in Hürth bei Köln, um mit ihr den Daily-Talk am Nachmittag in Deutschland einzuführen. Fernsehproduzent Meiser und sein für Neuentwicklungen verantwortlicher Executive Producer Volker Bach (38) berichten im Interview über ihre Arbeit und die ihrer Autoren.

TextArt: Was hat Sie gereizt am Journalismus? Sind Sie durch Ihre Familie beeinflusst worden, diese Laufbahn einzuschlagen?

Hans Meiser: Ich komme aus einer sehr liberalen, sehr aufgeschlossenen, aber auch bodenständigen Familie mit Beamten, höheren Angestellten und Selbständigen. Ich selbst schlug allerdings in eine völlig andere Richtung. Ich war immer schon sehr kommunikativ, woraus sich notgedrungen ergibt, dass man in einen journalistischen Beruf geht. Während meiner Schulzeit habe ich bei einer Schülerzeitung mitgemacht. Schülerzeitung ist einer der bemerkenswertesten Vorausbildungsgänge, bevor man in den wahren Journalismus einsteigt. Man lernt, seine Neugier so zu zügeln, dass man die Antworten so bekommt, wie man sie erhofft. Später habe ich in einem Studententheater gespielt.

TextArt: Also lag der Wunsch Journalist zu werden überhaupt nicht in der Familie?

Hans Meiser: Nein, absolut nicht. Mein Vater war Optikermeister. Er hat am gleichen Tag, als ihm der Meisterbrief ausgehändigt wurde, eine Pilotenausbildung gestartet und war dann Berufspilot bei der Deutschen Lufthansa. Das ist auch nicht unbedingt ein kommunikativer Beruf. Ich kam zum Fernsehen, weil Dr. Thoma damals das Privat-Fernsehen in Luxemburg gegründet hat. Er sagte zu mir „Kommen Sie mit, ich brauche Sie.“ Da sagte ich, „ich komme mit, doch ich finde Fernsehen eigentlich doof.“ Ich wusste ja, was die Kollegen beim Fernsehen alles machten. Die Fernsehreporter hatten Lichtleute, da waren Maskenbildnerinnen, Kabelträger, Kameraleute, Ü-Wagen. Und ich habe gedacht, wenn die Welt untergeht, dann gehst du zum Telefon und teilst der einstürzenden Welt mit, dass die Welt einstürzt – die aber müssen erst einmal das Licht aufbauen! Und genau das wollte ich nicht. Dann hat Dr. Thoma weiter gebohrt und irgendwie einen Virus bei mir implantiert. Schließlich habe ich mich dann doch überreden lassen und mir gesagt: Also gut. Aber nie mehr Nachrichten! Ich habe das jahrelang gemacht und konnte da nichts Kreatives machen.

TextArt: Sie arbeiteten also immer schon gern mit Menschen?

Hans Meiser: Ja nur! Mich interessiert eigentlich das Einzelschicksal als Pars pro Toto! Ich erinnere mich gerade an ein Interview mit einer jungen Frau, einer jungen Amerikanerin. Sie sagte: „Ich bin zum erstenmal in New Orleans. Ich komme aus dem Norden. Ich habe mal von diesen Stürmen gehört. Jetzt aber weiß ich endlich, was Natur ist.“ Genau das ist es. Man muss solche persönlichen Eindrücke einfangen. Wenn man derartige Naturkatastrophen einmal in seinem Leben erlebt hat, dann weiß man, was diese Leute miterlebt haben. Nur das wird mir leider im Fernsehen immer noch zu wenig transportiert. Anstatt dessen heißt es „Hunderttausend auf der Flucht, ganz lange Autoschlangen …“

TextArt: Sie sind Produzent und Journalist. Wie lässt sich das vereinbaren? Ist das nicht schwierig?

Hans Meiser: Natürlich ist das schwierig. Auf der einen Seite ist man Produzent. Und produzieren heißt, man muss Geld verdienen. Da müssen Büromieten bezahlt werden. Da sind Arbeitsplätze und Reisekosten. Da muss in Pilotsendungen investiert werden, um überhaupt klar zu machen, was du willst. Und als Journalist möchte ich reportieren. Ich will etwas transportieren. Eines ist sicherlich die Reportage, etwas anderes die Dokumentation und wieder etwas anderes ist das Feature. Da verträgt sich nicht immer der Anspruch des Journalisten mit dem Anspruch des Produzenten. Denn wenn ich eine Geschichte richtig recherchieren will, muss ich eventuell in die National Gallery nach New York oder nach Washington fliegen. Aber eigentlich könnte ich das auch im Internet recherchieren. Zudem habe ich eventuell zwar die Information, doch es fehlt mir die Emotion der Menschen, mit denen ich gesprochen habe. Und die kann ich nur einfangen, wenn ich vor Ort bin. Wenn ich aber selbst nach New York fliege, kostet das richtig Geld. Denn ich fliege ja nicht allein. Dann kommt noch ein Kameramann mit und ein Toningenieur. Das ist dann schon der geringste Aufwand auf der professionellen Schiene. Oder ich drehe mit irgendwelchen Kleinkameras und mache den Ton selbst…

„In fünf Jahren haben wir 50 Programme.“

TextArt: Was glauben Sie, wohin sich das Fernsehen entwickeln wird?

Hans Meiser: Es gibt, so glaube ich, derzeit über Kabel 32 Programme. Davon sind 28 deutsch. Ich bin fest davon überzeugt, in fünf Jahren haben wir 50 Programme.

TextArt: Sie sagten einmal, man könne ja auch abschalten….

Hans Meiser: Ich schalte sehr oft ab. Entweder geistig oder richtig, was beides nicht für das Programm spricht…. Ich habe immer gesagt, dass ich mir nicht alles angucken muss. Das trifft besonders auf die Minderheiten- oder Digitalprogramme zu, die heute sehr billig produziert werden. Das ist im Printbereich ähnlich. Ich bin sehr oft mit dem Flugzeug oder mit dem Auto auf Reisen und gehe vorher immer in Zeitungskioske. Da frage ich mich auch sehr oft, wer das eigentlich alles liest? Aber kein Mensch macht eine Zeitung, ohne damit Geld zu verdienen! Vom Eisenbahnkurier über die Armbanduhrenzeitschrift gibt es die ganze Bandbreite. Da finde ich allein fünfzig Frauenzeitschriften. Es gibt inzwischen Skatsendungen, Pferderennenfernsehen. Ich habe zuhause 2800 Kanäle auf dem Satellitenreceiver. Ja, ich muss mir die nicht alle angucken …

TextArt: Wird nicht Vieles eher ins Internet abwandern?

Hans Meiser: Das weiß ich nicht. Aber ich selbst bin ja auch ein gnadenloser Internetnutzer. Ich finde, dass das Internet überhaupt die größte Erfindung ist seit der Erfindung des Rades. Schon allein deshalb, weil sich daraus sehr vieles ableiten lässt. Habe ich Fragen über die Kindererziehung, gehe ich ins Internet oder will ich wissen, wie viel in Alaska eine Ananasfarm kostet, dann bekomme ich auf nur einen Knopfdruck alles, was ich wissen will.

TextArt: Aber?

Hans Meiser: Es gibt immer noch einen Unterschied zwischen der Friseurzeitschrift oder Focus, Spiegel oder Stern. Und ich weiß, als das Privatfernsehen gekommen ist und damit fast zeitgleich der Privathörfunk in Deutschland, wurde das große Todeslied auf alle Zeitungen gesungen. Da sind die Gewerkschaften auf die Straße gegangen und verbreiteten, dass die elektronischen Kollegen die Arbeitsplätze der Redakteure vernichten. Doch da stimmten die ganzen Voraussagen nicht. Ich glaube auch nicht, dass das Internet das Fernsehen kaputt machen wird. Im Internet tummeln sich dafür zu viele Amateure.

TextArt: Bei Ihnen gehen viele Sendekonzepte von Profis, aber auch Amateuren ein, die glauben, Fernsehen besser machen zu können…

Hans Meiser: Erst einmal ist jeder Fernsehmann besser als der andere. Und jede Fernsehfrau ist besser als die andere. Daran krankt das System. Ich glaube, dass in vielen Networks vergessen wird, was der Zuschauer wirklich sehen will. Und ich finde, dass viel zu viele Geschmacksdiskussionen eine Rolle spielen. Zum Beispiel, dass die Dekoration kontraproduktiv zur Sendung sei. Im Augenblick haben wir analog zum Blauen Reiter die „Blaue Phase“ im Fernsehen. Bei Nachrichtensendungen, bei Showsendungen, ist alles blau! Ich garantiere Ihnen, bald haben wir die orange oder ockerfarbene Phase. Die hatten wir aber schon mal in den siebziger oder achtziger Jahren. Und was mich am Fernsehen verrückt macht ist, dass sehr viel abgekupfert wird. Macht der eine etwas in Blau, dann macht der andere etwas in Blau und so weiter. Und alle finden plötzlich Blau schick.

„0,1 Prozent der Vorschläge landen beim Sender.“

TextArt: Es wird auch nicht mehr experimentiert oder etwas Neues ausprobiert?

Hans Meiser: In keinem Falle! Ich habe immer gesagt, ich möchte nie Programmverantwortlicher sein. Ich möchte nie Verantwortlicher sein für die Programmierung eines Tages-, Wochen-, Monatsprogramms einer Fernsehstation. Das könnte ich nicht. Aber ich sage wenigstens, was ich nicht kann. Viele sagen nicht, was sie nicht können.

TextArt: Nun gibt es ja Menschen, die selbst als Autoren beim Fernsehen arbeiten wollen und Ihnen Konzepte für Sendungen schicken. Wie viel kommt bei Ihnen auf den Schreibtisch?

Volker Bach: Fernsehformatentwicklung ist sehr schwierig auf eine Formel zu bringen. Ich sage einmal: Von 100 Ideen fassen wir zehn in Worte, eine in ein Konzept und 0,1 Prozent der Vorschläge landen dann in irgendeiner Art und Weise beim Sender. Das heißt, sie haben ungeheuer viel Kreativität, die dann im Nirwana versandet.

Hans Meiser: Weil wir bei der Erarbeitung einer Geschichte irgendwann auch feststellen, dass die einfach nicht umsetzbar ist.

Volker Bach: Unsere Aufgabe als Produktionsfirma ist, die Vorschläge, die bei uns eingehen, aufzunehmen. Die an uns gerichteten Einsendungen beantworten wir alle schriftlich. Wir bekommen nämlich von sehr unterschiedlichen Leuten Zuschriften: Von Profis, von Amateuren, aber auch von einfachen Zuschauern. Wir haben etwa 80 Millionen Kreative in Deutschland, was subjektiv gesehen auch stimmt. Was wir aber auch berücksichtigen müssen: Wir haben einen Markt, wir haben Anforderungen an uns und wir haben Formate. Und das können die meisten Leute nicht wissen. Das trifft auf Profis wie auf Amateure zu. Wir bekommen Ideen, die einfach auf einem Zettel notiert wurden – ohne Punkt und Komma und mit vielen Rechtschreibfehlern. Hinzu kommen auch telefonische Anfragen. Wir fordern die Anrufer auf, dass sie ihre Ideen schriftlich zusammenfassen und uns zuschicken. Nur dann können wir sie prüfen. Grundsätzlich aber gilt: Wenn eine Idee gut ist, dann kann man sie in einem Satz erklären. Was wir aber dann noch brauchen, ist ein bisschen mehr. Sie müssen uns erklären, wie die Idee umgesetzt werden soll. Das heißt, wir brauchen eine Struktur auf dem Papier. Wir brauchen ein Exposé. Wie das aussieht, bin ich auch gern bereit zu erklären. Ich mache das auch schriftlich. 95 Prozent der Leute melden sich aber nie wieder, sobald sie gebeten werden, ihre Idee, die so toll ist und das Fernsehen revolutionieren soll, schriftlich zu formulieren. Das gehört aber zum professionellen Fernsehentwickeln dazu. Es gibt Kernpunkte: Was ist die Idee? Wie kann ich in drei bis vier Sätzen sagen, um was es sich handelt und wer es moderieren soll? Wie viele Gäste sollen im Studio sein, auf welchem Sendeplatz und in welchem Sender sollte man die Sendung platzieren? Außerdem sollte man sich fragen, wie sie abläuft und wofür sie gut ist.

TextArt: Wie viele Einsendungen haben Sie?

Volker Bach: Manchmal schwappen die Ideen häufig bei uns rein. Das sind dann zehn pro Woche. Dann gibt es Zeiten, in denen zwei bis drei Wochen gar nichts passiert. Wir hatten übrigens noch bis vor vier, fünf Jahren deutlich mehr Zuschriften. Woran das liegt, weiß ich leider nicht genau. Vielleicht, weil das Fernsehen nicht mehr das vordringlichste Medium ist. Aber Sie können sich auch heute noch sicher sein, dass, wenn beispielsweise das Thema Arbeitslosigkeit in der Bild-Zeitung stark bearbeitet wird, wir dann mindestens drei bis vier Arbeitslosenshows im Orbit haben - und das innerhalb der nächsten zwei bis vier Wochen.

TextArt: Themen, die der normale Journalismus vorgibt. Was Tagesthema ist, das sickert also durch….

Volker Bach: Und alle glauben, sie hätten die Idee als erste, weil es das noch nicht als Thema gibt. Und ich kann denen in 99 Prozent der Fälle sagen, dass wir das schon einmal gemacht oder in der Schublade liegen haben. Dass eine wirklich neue Idee auftaucht, passiert eben relativ selten.

Hans Meiser: Ich will einmal ein Beispiel nennen. Sie kennen vielleicht noch die Sendung „Salto Mortale“. Das war damals ein absoluter Hit. Die Serie ist weltweit verkauft worden. Wir dagegen wollten eine Doku-Soap über Schausteller produzieren. Wir hatten relativ genaue Vorstellungen, wie sie aussehen sollte. Der Hintergrund war eine statistische Untersuchung: Über einen Zeitraum von 16 Jahren besuchen 68 Millionen Menschen Rummelplätze. Das sind 63 Prozent der Bevölkerung! Jeder dieser 68 Millionen geht im Schnitt dreimal auf einen Rummelplatz. Damit sind das etwa 190 Millionen Besucher. Aber dann kam von der anderen Seite nichts als der Kommentar: „Wir glauben nicht, dass so eine Geschichte den Fernsehzuschauer erreicht.“ Man glaubt es nicht, weiß es aber auch nicht. Doch man könnte ja eine Untersuchung machen. Das heißt, dass man die Bedürfnisse von etwa 68 Prozent der Fernsehzuschauer einfach übergeht. Diese lässt man einfach im Regen stehen. Da frage ich mich, worüber wir eigentlich reden? Da wird einem gesagt, dass so etwas nicht produziert werden kann, weil dafür extra ein Rummelplatz aufgebaut werden muss. Die haben damals doch auch „Salto Mortale“ im Zirkus Krone produziert. Diese Serien mit den Themen ‚Liebe, Leid, Freundschaft, und natürlich Familie’ sind zum Teil sehr stark strukturiert. Da gibt’s natürlich auch Konkurrenz und Wettbewerb, wobei einer von der Familie A wahrscheinlich nie ein Mädel von der Familie B heiraten würde, weil die Urgroßväter vor vier Generationen einmal sehr zerstritten waren. Das wäre relativ einfach zu drehen gewesen. Das Fernsehen hat ein Wirtschaftsvolumen von über 1,5 Milliarden Euro. Da fragt man sich, ob die Verantwortlichen dort noch Mut zum Experiment haben. Man kauft immer nur im Ausland ein, auch wenn inzwischen auch gegenläufige Erfahrungen gemacht wurden …

Autoren liefern Dramaturgie für Gerichtsshows

TextArt: Wo werden eigentlich beim Fernsehen Autoren gebraucht?

Volker Bach: Autoren beim nicht fiktionalem Fernsehen sind Filmemacher, die sich einen Stoff ausdenken, eine Art Drehbuch dafür schreiben und das Ganze dann mit einem Kamerateam drehen. Dabei handelt es sich oft um ganz einfache Geschichten, wie beispielsweise den Umbau eines Badezimmers, dessen Handlungsablauf uns von einem Autor geliefert wird. Dieser beschreibt, wer die Protagonisten sind und wie die Geschichte umgesetzt wird. Er liefert die Dramaturgie und den Spannungsbogen. Grundsätzlich brauchen wir natürlich auch Autoren im fiktionalen Bereich. Die Vermischung von Realität und Fiktion ist beim Fernsehen immer mehr im Vormarsch, wenn man sich zum Beispiel Reality-Doku-Soaps wie etwa die Gerichtshows genauer anschaut, in denen Amateure mitspielen. Der Redakteur muss sich dann die Geschichte dazu ausdenken. Er skizziert, um welchen Fall es sich hier handelt. Was ist passiert? Wann kommt die überraschende Wende? Es wird eine in Form gebrachte Geschichte so vermittelt, als wäre sie real. Die Handlungsabläufe werden hier natürlich auch noch aufgeschrieben. Doch werden Exposés und Skripts erstellt, die nur noch Handlungsrichtlinien vorgeben. Es gibt auch nur Dialogvorgaben mit Schlüsselwörtern, die von den Protagonisten nur getroffen werden müssen.

Hans Meiser: Jetzt kommen wir zu einem ganz komplizierten Punkt. Uns hat man bei der Meisertalkshow immer vorgeworfen, dass wir doch gar keine echten Fälle hätten. Man sagte uns, die Geschichten seien doch konstruiert gewesen, die Gäste hätten ihre Geschichte nur gespielt. Ich schwöre es, da war kein einziger gekauft. Das waren alles echte Fälle. Und wir hatten damals noch 40 Redakteure, die quer durch Deutschland gefahren sind oder nach Amerika, Frankreich und Italien. Und ich habe immer gesagt: Ich möchte mich hautnah auf jede Geschichte einstellen können, als wäre ich persönlich da gewesen. Da haben wir damals über junge Israelis oder Palästinenser zwei Sendungen gemacht. Ich war nie in Israel gewesen in meinem Leben. Doch ich muss eigentlich einmal da gewesen sein, damit ich weiß, worüber ich rede. Ich kenne das doch nur vom Fernsehen und aus Zeitungsberichten. Da regen sich die Leute darüber auf, dass, wie es heißt, „diese ganzen Verbrecher in den Gerichtsshows jetzt auch noch ins Fernsehen gehen“ und wundern sich, dass man heute im Gerichtssaal drehen darf! Die Leute denken tatsächlich, das wäre alles Realität. Dagegen war es aber für viele Zuschauer nicht real, was wir damals gemacht haben. Bei den heutigen Talkshows möchte ich das gar nicht hinterfragen. Bei uns waren es damals jedenfalls alles noch Menschen, die ihre eigene Geschichte erzählt haben. Irgendwas hat sich in den Köpfen geändert.

TextArt: Wie kamen Sie damals auf die Ideen? Wer hat die geliefert?

Hans Meiser: Woher wir die Themen herbekommen haben? Ich habe letzte Woche eine Sendung in der ARD gesehen. Die war genial gemacht. Da hat eine Kollegin in der Agentur für Arbeit recherchiert und die Atmosphäre festgehalten. Da wurde einer Frau ein Job angeboten unter der Bedingung, sie müsse jeden Tag eine halbe Stunde hin- und wieder zurückfahren. Darauf sagte sie: „Da bin ich ja müde, dann kann ich mich nicht mehr konzentrieren.“ Sie hat daraufhin den Job abgelehnt. Und da waren genau die Fälle drin, die wir vor fünf Jahren auch einmal beschrieben haben. Ich erinnere mich an einen Arbeitslosen aus Stuttgart, der so alt war wie ich. Er hatte fünf Jahre in seinem Leben gearbeitet. Seitdem hat er Rückenschmerzen. Er wohnt in einer teuren Halbvillenlage, hat eine Dreizimmerwohnung zur Miete, fährt dreimal im Jahr in Urlaub, geht in der Woche ein- bis zweimal Essen, hat zwei Videokameras, einen Videorecorder, eine Tiefkühltruhe und alles, was er sich nur wünscht. Und als wir damals die Sendung gemacht haben, sind wir von ganz vielen Zuschauern angeschrieben worden. Die sagten, dass es das doch gar nicht gäbe. Und wenn doch, seien das nur Einzelfälle! Nein, davon gibt’s doch Hunderte, wenn nicht gar Tausende. Wir sind damals darauf gekommen, weil die Bild-Zeitung, die ja nicht unbedingt der Ideengeber für Fernsehsendungen sein sollte, gerade eine Serie geschaltet hatte über Arbeitslose, die nicht arbeiten wollen. Doch zum Teil entstammten die Ideen natürlich auch dem eigenen Erleben. Da haben sich eben ein paar gute Redaktionsleiter mit ein paar Leuten zusammengesetzt, sich hundert Tassen Kaffee reingeschüttet und dann kam eine Liste mit vielen Ideen auf den Tisch.

Die Story bei „Mein Garten“

TextArt: Als die Talkshow Hans Meiser damals gestartet wurde, wie viele Sendungen wurden damals vorproduziert?

H. M.: Wir hatten damals 200 Sendungen. Das war ein ganzes Sendejahr. Das hat sich dann reduziert auf 190 Sendungen. Wir waren damals auch noch relativ frei in der Themenwahl. Eine Sendung über junge Palästinenser brachte natürlich keine hohe Quote. Dafür hatte sie irrsinnig gute Kritiken. Und das hat wirklich Sinn im Fernsehen gemacht. Dass wir zum Schluss in den letzten anderthalb Jahren auch Sendungen mit schlagzeilenträchtigen Titeln wie „Dick ist besser als dünn“ produziert haben, tut mir heute noch weh. Aber davor haben wir Sendungen über Stasi-Mitgliedschaft gemacht und über Scientologen. Das waren alles Sendungen, die unglaublich gepunktet haben. Wir sind die Ersten gewesen, die damit rausgegangen sind. Wir haben Sendungen gemacht aus dem Hochsicherheitsknast in Hessen. Das war ein Politikum. Haben mit Mördern und Vergewaltigern gedreht. Da gab es einen Riesenaufstand. Jetzt kommen auch noch Mörder und Vergewaltiger im Fernsehen! Es ging aber nicht um die Tat, sondern darum, wie die Täter nach ihrer Verurteilung ihr soziales Leben aufrechterhalten. Was machen deren Kinder, Freunde? Wie stehen die zu all dem? Bricht das jetzt alles ab? Wir haben auch politische Sendungen produziert. Da hatten wir 48 Prozent Marktanteil. Da können die heute mit ihren Talkshows nur von träumen.

Volker Bach: Wobei wir sagen müssen: Talkshows sind nicht mehr unser Kerngeschäft. Und Talkshows, wie Hans Meiser sie eingeführt hat, gibt es auch nicht mehr. Was wir jetzt im Fernsehen haben, das sind Konstellationsshows, in denen Menschen nur noch aufeinander losgelassen werden.

Hans Meiser: Immer wieder Schwangerschaftstests. Und es geht nur noch um Sex. Das funktioniert quotenmäßig immer …

Volker Bach: Was wir derzeit überwiegend produzieren, sind Servicetainmentformate. Zum Beispiel RTLs „Mein Garten“ ist ein sehr erfolgreiches Produkt aus unserem Haus. Mit dem Garten hat RTL es geschafft, auch ohne Formel 1 wieder über 20 Prozent Marktanteil am Sonntagnachmittag zu holen.

Hans Meiser: Wir haben 20 Prozent Marktanteil, weil wir Geschichten erzählen. Weil da Männer, Frauen und Kinder beglückt werden. Die Geschichte steht im Mittelpunkt: Warum hat die Familie es verdient, diesen Garten zu bekommen? Dazu kommt die Fröhlichkeit des Formates. Wir haben tolle Moderatoren, die ein bisschen spielen. Das fühlt sich eins zu eins abgebildet an, ist aber inszeniert. Dafür haben wir unseren Fernsehautor, der sich die Geschichte überlegt. Inszeniert heißt aber nicht, dass die Geschichte im theatralischen Sinne inszeniert wird. Es gibt kein Textbuch, das den genauen Handlungs- und Textablauf vorgibt.

TextArt: Kann man Fernsehen machen lernen?

Hans Meiser: Es soll ARD-Anstalten geben, wo nur Leute mit abgeschlossenem Hochschulstudium ein Volontariat bekommen. Wenn dann der Intendant selbst nur mittlere Reife hat, finde ich das schon ziemlich interessant. Es gibt natürlich auch Quereinsteiger. Die wären doch verrückt, wenn die einem Schreibgiganten sagen würden: Du hast kein Hochschulstudium? Du darfst nicht!

Volker Bach: Auch das ist schwierig auf eine Formel zu bringen. Aber ich würde sagen, wenn Sie Fernsehautor werden wollen, gilt: 40 Prozent Talent, 20 Prozent Beharrlichkeit, 30 Prozent Kontakte und 10 Prozent sind Faktor X.

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