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Der Drang, Unsichtbares sichtbar zu machen.

Ein Kölner bewegt sich zwischen Kunst und Wissenschaft (Kölnische Rundschau)

Von Lydia Keck


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Wenn der Botaniker Dr. Ingo Botho Reize durch die Straßen in Richtung Institut der Universität Köln schlendert, gleitet sein Blick über feuchte Bordsteine, schattige Mauerstücke oder Hauswände, auf die sich ein schmutzig-grüner dünner Film gelegt hat. Genauso aufmerksam betrachtet er marode Treppen vor Hauseingängen. Reize weiß sofort, wenn es sich bei den mit zartem Grün überzogenen Stufen nicht um Moos oder Flechten, sondern um Grünalgen handelt, obwohl der Unterschied kaum sichtbar ist. Denn der Kölner ist Experte auf dem Gebiet dieser Kleinstlebewesen. Er interessiert sich seit über 40 Jahren für die ältesten Sauerstoff produzierenden Bewohnern der Erde, die sich vor zwei Milliarden Jahre als erste ihren eigenen Lebensraum schufen, nachdem sich Ozon als Schutzschirm um den Erdball gelegt hatte, das für gefährliche UV-Strahlung undurchlässig war. Diese Kohlendioxid atmenden Mikroorganismen blasen durch Photosynthese über 45 Prozent Sauerstoff in die Atmosphäre und sind daher für Menschen und Tiere wichtige Lebensspender.

In seinem Gewächshaus im Institut der Uni Köln zeigt der Botaniker gerne neugierigen Besuchern, dass die Alge aber noch viel mehr kann als nur Sauerstoff produzieren. Ingo Reize betreibt seit sieben Jahren Algenkunst und verbindet damit den schöpferischen Prozess der Natur mit seiner eigenen Kreativität: Ein paar Tage lang lässt er mit verschiedenen Stoffen bezogene Keilrahmen in einem großen Wasserbecken liegen. Danach holt er die bespannten Flächen an die Oberfläche und lagert sie auf großen Arbeitstischen. Dort kriechen Millionen von Cyanobakterien über das Gewebe und haften in den Strukturen fest. Dabei hinterlassen sie ihre tiefblauen violetten und roten Farbpigmentspuren. Reize hat sich für seine Biokunst eine besonders resistente Kultur herangezüchtet: „Der Farbstoff grüner oder einiger roter Algen verschwindet mit der Zeit. Die Farbstoffe der Blaualgen dagegen sind besonders beständig gegenüber Sonneneinstrahlung und hellem Licht.“

Der Fantasie des Betrachters sind keine Grenzen gesetzt: Mondlandschaften entstehen, Urwälder oder einfach nur abgegrenzte Zonen bilden sich auf der Fläche, die ein schöner Blickfang fürs Auge sind. Geballte Kraft, pure Energie bestimmt das Zentrum jeder Komposition, die von der Natur selbst geschaffen werden. Und wenn dem Biologen niemand im Gewächshaus über die Schulter schaut, greift er mit „einfachen Mitteln“ in den Bewegungs- und Wachstumsprozess ein. Denn als Algenforscher weiß er, in welche Richtungen sich die Kolonien der kleinen Blaualgen, die sich in langen Fäden hintereinander gruppieren, unter vorgegebenen Bedingungen bewegen. Über seine Eingriffe, die manueller Art sind, spricht der Experte aber nicht. Denn das sei schließlich das Ergebnis jahrelanger Experimente und Beobachtungen: „Darin verbindet sich die menschliche Kultur mit den Anfängen des Lebens von vor mehr als drei Milliarden Jahren. Die schöpferische Kraft der Natur vereint sich in diesen Bildern mit der gestalterischen Kraft des Menschen und schafft dadurch ein Sinnbild der gegenseitigen Abhängigkeit alles Lebendigen“, so Ingo Reize, der nicht manipulieren, eher dirigieren will. Auch wenn er natürlich der künstlerischen Natur in ihm, künstlich reizvolle Illusionen für den Betrachter zu schaffen, standhalten muss. Doch Reize bleibt zur Hälfte immer noch der Wissenschaftler, der einen stärkeren Drang spürt, natürliche Prozesse für das menschliche Auge sichtbar zu machen: „Ich schaffe n u r bestimmte Voraussetzungen, nach denen die Algen agieren.“

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Doch wie kommt überhaupt ein Wissenschaftler dazu, seine wissenschaftlichen Kenntnisse künstlerisch umzusetzen? Das ist eigentlich ganz einfach. Bei einem Experiment im Institutsgarten der Kölner Universität, bei dem eine besondere Art der Algenkultur untersucht werden sollte, gab es immer ungewollte Kontaminationen seiner Nachzuchtalge mit anderen Arten. Das Ergebnis waren bunt gemischte Kulturen, für das wissenschaftliche Experiment jedes Mal ein Rückschlag, aber für das künstlerische Auge hübsch anzuschauen, weil sich einzelne farblich unterschiedliche Zonen bildeten. Irgendwann kam Ingo Reize auf die Idee, daraus Bilder zu machen. Als Kunst wollte der Biologe das zunächst aber nicht bezeichnen, „denn als Wissenschaftler ist man da ein bisschen zäh.“

Mittlerweile entstehen immer neue Bilder. Und der Künstler geht immer forscher mit seiner neuen Idee an die Öffentlichkeit.

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